Was macht man mit unterbeschäftigten islamistischen Milizionären? Man schickt sie auf immer weitere Missionen.
In September 2011 sah ich bei einer Reportage über eine siegreiche Schlacht libyscher Rebellen gegen Gaddafis Truppen auf der Rückseite des Khakihemdes eines der Kämpfer die handgeschriebene Ankündigung: „Syria, we are coming“. Libyen war noch gar nicht „befreit“, Gaddafi noch nicht verstümmelt, und schon verkündete „man“ das nächste Betätigungsfeld: Syrien.
Zehntausende in aller Regel wenig gebildete und aus der Unterschicht stammende, teilweise bereits radikalislamisierte, teilweise für radikale Ideen und Verschwörungstheorien empfängliche Männer wurden massiv mit saudischen und katarischen Geldern und Waffen versorgt, um Gaddafi zu stürzen. Nachdem Natos Bombenkampagne den Hauptanteil am Sieg dieser Rebellen gesichert hatte konnte das neue, „befreite“ Libyen sich nicht leisten, dass Heerscharen bewaffneter und selbstbewusster Milizionäre ohne Disziplin und zentrale Kommandostrukturen, und vor allem ohne Gewaltausübungshemmungen im Land herumlaufen und die neue vom Westen installierte und hofierte Regierung in Bedrängnis bringen.
Ergo mussten diese Kräfte beschäftigt und ihre Waffen und Munition verbraucht und verschlissen werden. Als Motivation musste man Panarabismus mit sunnitischem Brüderlichkeitsbewusstsein in Verbindung bringen. Also erfand und nährte man die Mär vom bösen alawitischem „Minderheitsdiktator“, der die Mehrheit der guten Sunniten-Muslime aus religiösen Gründen bekämpfe. Beharrlich wurde in den Massenmedien, speziell den vielgesehenen Satellitensendern der arabischen Welt immer wieder das Märchen wiederholt, in Syrien wäre die Mehrheit der Sunniten in wichtigen Regierungsämtern sowie in den Streitkräften und den Sicherheitsdiensten quasi nicht präsent.
(Siehe hier starke Anhaltspunkte für das Gegenteil: https://radioyaran.wordpress.com/2012/12/23/desertieren-sunniten-der-regierung-und-armee-assads/)
Die Idee hinter diesem Lügenkonstrukt war, antischiitische Gefühle speziell bei der weniger gebildeten und oft arbeitslosen sunnitischen Landbevölkerung anzustacheln und das falsche Unrechtsempfinden zu generieren, das auf eine angebliche systematische Unterdrückung der sunnitischen „Brüder“ in Syrien basieren würde.
In der Folge strömten und strömen Tausende salafistisch- oder sonstwie „radikalsunnitisch“ geprägte Jihadisten aus Ländern wie Tschetschenien, Libyen, Saudi Arabien, Irak, Libanon, Jordanien…nach Syrien um am „Jihad“ gegen das „ungläubige“ Regime Assads teilzunehmen.
Für die die Rebellen euphorisch mit „Ideologie“, Geld, Logistik und Waffen unterstützenden Golfmonarchien Saudi Arabien, Katar oder auch Kuwait hat die Heimsuchung Syriens durch die jihadistische Internationale neben der Schwächung des schiitischen Erzfeindes Iran im Fernkrieg einen weiteren Vorteil: Man hat die eigenen „Wahnsinnigen“ von der korrupten eigenen Herrschaft abgelenkt. Die Jihadisten werden am Ende Assad womöglich stürzen, werden aber auch Zehntausende ihrer erfahrensten Kämpfer verlieren. Sollte nach dem regime change in Syrien noch genügend potentielle Jihadenergie vorhanden sein, lässt sich leicht der Bedarf nach Befreiung der sunnitischen Brüder in Libanon, welche angeblich unter der Hisbollah leiden herbeiphantasieren. Alternativ könnte man sich auch gen Südwesten wenden und die wohl ebenso als „häretisch“ oder „gottlos“ zu deklarierende Regierung des Schiiten Al-Maliki beseitigen wollen. Schon heute nennen syrische Rebellen getötete Regimesoldaten öfters „Majjous“, eine abfällige Bezeichung für die (vorislamischen) Iraner.
Syrien heute, sowie Libanon und/oder Irak morgen werden also den Fleischwolf zu Gast haben, in dem nicht-sunnitische Milizen/Regierungen und salafistische Kämpfer sich gegenseitig aufreiben.
Ein interessanter Artikel, allerdings erscheint mir das allgemein verbreitete Aufteilen der Muslime in mehr oder weniger aggressive Untergruppen als Teil einer Strategie, die den tatsächlichen Kern des Problems erfolgreich verschleiert: Den Islam!
Wessen Strategie soll es denn sein? Dass der Islam diverse Probleme – mit und für sich und andere – hat ist nicht zu bestreiten.
Das syrische Baathregime mag viele Fehler und Unzulänglichkeiten haben, aber es ist sicher kein religiöses Regime. Für arabische Verhältnisse ist es sogar durchaus als säkular zu betrachten. Assad, Vater und Sohn, haben jedenfalls nicht entlang religiöser Strukturen gehandelt.
Der Artikel strotzt nur so von islamischen Begriffen und islamischen Unterscheidungen und islamischen Problemen … aber davon mal abgesehen ist diese Behauptung reichlich kurios:“ Assad, Vater und Sohn, haben jedenfalls nicht entlang religiöser Strukturen gehandelt.“
Strukturen können auch wirksam werden, ohne dass man diese aktiv benutzt bzw. etabliert. Strukturen können und werden auch passiv genutzt bzw. sie konstituieren sich auch oft erst im wechselseitigen Handeln Agierender. Strukturen sind auch abhängig von der angewendeten Perspektive, sie können entstehen, erscheinen und verschwinden.
Der Islam war, ist und bleibt strukturgebend und strukturbestimmend, was ihn zum einem der Hauptfaktoren aller sozialen und politischen Probleme in den von Muslimen dominierten Ländern macht. Daran hat auch der Assad-Clan nichts geändert.
Die Essenz der zitierten Aussage ist die Tatsache, dass Assad weder religiös ist, noch religiös-begründet handelt, noch die religiöse „Hetzkarte“ spielt, wie es seine eindeutig religiösen oder religiös-vortäuschenden Widersacher aus Saudi Arabien und Qatar machen.
Oder kennen Sie einen alawitischen Hassprediger als Pendant der Herren Arour und al-Qaradawi, der Sunniten wegen „Unglauben“, „Apostasie“ etc. angreift und polemisiert?
Die Alawiten sind politisch stärker positioniert als ihr gesellschaftlicher Anteil es hergeben würde, aber es ist unbestritten, dass
a) die sunnitische Mehrheit auch die Mehrheit der Strietkräfte bildet
b) Sunniten sehr wohl Schlüsselpositionen in der Generalität, im Ministerstab und im Geheimdienst bekleiden
Vergleichen Sie das mit Bahrain, wo die Bevölkerungsmehrheit der Schiiten im Sicherheitsapparat gar nicht präsent ist.